hntrlnd » Aussenpolitik http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Rahbar – das H ist stumm http://www.hntrlnd.de/?p=893 http://www.hntrlnd.de/?p=893#comments Sun, 25 May 2014 18:26:39 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=893 Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Rahbar wohnt in einem Dorf am Rande Bakus in Aserbaidschan, ist 52 Jahre alt und mag Blumen. Seinen selbst gebrannten Schnaps, den er aus den Früchten seines eigenen Gartens brennt, schenkt er uns mit den Worten ein: „Wenn ihr zu viel davon trinkt und ihr ins Krankenhaus kommt, gibt’s Ärger mit der Polizei!“ Rahbar war mal Englischlehrer, obwohl sein Wortschatz ihn doch eher als schlechten Schüler ausweist. Für diese Arbeit zahlte man ihm 400 Dollar im Monat, weshalb er seinen Job aufgab und nun weit draußen für das dreifache Salär in einer unterentwickelten Region auf Geheiß einer NGO, deren Arbeit zu einem Großteil durch die EU finanziert wird, nachhaltige Bildungsprojekte aufbaut und dauerhafte Infrastrukturen schafft. Dafür und davon hat er sich einen schönen Hyundai gekauft, der einen erstaunlichen Pflegezustand aufweist. Die Kinder sind aus dem Haus, der Sohn als Arzt in der Schweiz, die Tochter hat gerade ihren Master gemacht. Seine Frau arbeitet in Afghanistan und ist fast nie zuhause. Ob er Angst um sie hat? Nein, warum denn? Sie wird doch von der UNO beschützt. Wie viele andere Höfe in dieser Gegend schmückt auch seinen Hof ein neues Haus, zwei Stockwerke, viel Platz, Wasserdruck und Voltzahl sehr zufriedenstellend, Holzfußboden, Souvenirs aus allen Teilen der Welt, meist aus Afrika, so wie die Uhr mit den Giraffen oder der Schmuckteller aus Kenia in der Vitrine neben dem Bleiglas aus Paris.

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Im zweiten, älteren und kleineren Haus wohnt sein Bruder mit seiner Frau und zwei Söhnen, er hat spät geheiratet und arbeitet nicht. In Rahbars arbeitsbedingter Abwesenheit kümmert er sich um Haus, Hof, den Hund und die drei Enten, gießt die Blumen und repariert hier und da was. Seine Söhne, einer fünf, einer zwei Jahre alt, spielen mit uns Fußball, ohne dass wir uns verständigen können, aber für „Ronaldo“, „Schweinsteiger“ und „Gol!“ benötigt es keine Sprache. Seine Frau ist selten zu sehen. Manchmal sehe ich noch eine weitere Frau auf dem Hof, wer sie ist, was sie macht und warum sie so skeptisch schaut, mag ich nicht ergründen.

Einer gegen zwei ist unfair

Einer gegen zwei ist unfair

Rahbar kommt ursprünglich aus Karabach, einer bis heute von Armenien annektierten Region. Der Versuch, sich über den Genozid an den Armeniern zu unterhalten, beginnt mit der Aussage, der große Bruder Türkei wäre den Aserbaidschanern zur Hilfe geeilt und hätte schließlich die Armenier gestoppt, als sie vor Baku standen und wird beendet er mit der Aussage, er sei Englisch- und kein Geschichtslehrer. Dabei nehmen wir in den Gesprächen Rahbar als einen aufgeschlossenen Weltbürger war, so kann er auch die Form der Demokratie, wie sie sich in Aserbaidschan darstellt, recht genau und augenzwinkernd einschätzen. Allerdings ist seine eigene Geschichte, die ihn mit den Armeniern verbindet oder besser gesagt von ihnen trennt, eine andere. Sie beginnt Ende der Achtziger und endet Anfang der Neunziger mit der Vertreibung der aserbaidschanischen Minderheit durch armenische Milizen, wieder starben Menschen. Sein Heimatdorf kann Rahbar nicht mehr besuchen. Damit scheint er sich allerdings abgefunden zu haben, denn es geht ihm augenscheinlich gut, da wo er ist. Kein Grund, über Politik zu sprechen oder im Dreck zu wühlen. Lieber sich und seinen Gästen noch einen Schnaps eingießen, Schaschlik essen und sich des Lebens freuen.

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Eine unverarbeitete Geschichte http://www.hntrlnd.de/?p=760 http://www.hntrlnd.de/?p=760#comments Mon, 12 May 2014 06:26:01 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=760 Blick hoch zum Konferenzgebäude des Genozide Museums

Blick hoch zum Konferenzgebäude des Genozid Museums

Wie soll man den Mord an zwei Millionen Menschen begreifen können? Wie soll man nachvollziehen, was solch eine Tragödie bei Verwandten, Bekannten, Überlebenden ausgelöst hat? Wie kann man diese Geschichte kurz und zusammenfassend erläutern, wenn sie eben nicht nur mit der Leugnung durch die Türken und dem Gedächtnis der Armenier zu tun hat, sondern auch mit den damaligen weltweiten politischen Verstrickungen, in deren Konsequenz das Töten von über zwei Millionen Armeniern, Assyrern und Griechen als Kollateralschaden hingenommen wurde? Da ich selbst zu einem Tätervolk gehöre, das auch auf Grundlage und mit den Erfahrungen und Berichten dieses Genozids seine noch brutalere und bedingungslosere Vernichtung von Leben veranstaltete, darf ich dann diesen thematischen Einstieg zum Vernichtungsplan der Jungtürken vor 99 Jahren schreiben?
Mir bleibt nichts übrig, als zu schreiben, ohne eine der Fragen beantworten zu können:

Eingangsbereich

Eingangsbereich

Ende des 19. Jahrhunderts war das Osmanische Reich politisch und wirtschaftlich völlig rückständig im Vergleich zum industrialisierten und sich langsam demokratisierenden Europa. Besonders dem aufkeimenden europäischen Nationalismus hatte das Riesenreich kaum etwas entgegenzusetzen. Bereits ab 1850 gab es Ansätze, den Staat neu zu konsolidieren. Im theokratischen System begann eine Säkularisierung, die besonders in wirtschaftlich- technischer Hinsicht Früchte trug. Hochverschuldet in Europa und auf dessen technische Unterstützung angewiesen, gab es aber kaum eine staatliche Souveränität. Der 1876 ins Amt gehobene Sultan Abd-ul Hamid forderte von Armee, Brigaden und Spionen das sofortige Eingreifen bei Aufständen. In vielen Provinzen gab es in der Folge erste blutige Progrome, bevorzugt an den Armeniern. Meist aber nicht infolge von wirklichen Aufständen, stattdessen wurden diese von lokalen Machthabern vorgegaukelt, um sich besser stellen zu können oder um sich zu bereichern. Es gibt zahlreiche Berichte über die Auslöschung ganzer Stadtteile, aber nur spärliche von Aufständen oder Unruhen. Das armenische kulturelle Erbe ist bis heute höflich, leise und gewaltlos. Bereits bis zur Jahrhundertwende starben durch die Gewaltanwendung türkischer Beamter 300.000 Armenier. Bereits 1902 veröffentlichten der Sozialdemokrat Eduard Bernstein und der Pfarrer Otto Umfried das Buch „Armenien, die Türkei und die Pflichten Europas“. Europa kannte also die bereits geschehene Gräuel, Abd-ul Hamid hält sich jedoch nur in der verkitschten europäischen Erinnerung als der grausame Herrscher im Orient, seine Unfähigkeit, das Reich zusammenzuhalten und zu reformieren, führen zu seiner Absetzung 1909.

"Mutter erhebt sich aus der Asche" - Statue zur Erinnerung an jene, die im Genozid 1915 umkamen, ihn überlebten und vor ihm flüchteten. (2001)

“Mutter erhebt sich aus der Asche” – Statue zur Erinnerung an jene, die im Genozid 1915 umkamen, ihn überlebten und vor ihm flüchteten. (2001)

Die Armenier schweben in dieser Zeit zwischen dem Protektorat des russischen Zarenreichs und den Ausschreitungen des osmanischen Staates, ohne feste Grenzen bei ihrem heiligen Berg Ararat, der allein in die Höhe ragt und auf dessen Gipfel Noahs Arche aufgelaufen sein soll. Ansonsten führen sie ein assimiliertes Leben in türkischen Städten, bestimmt schon auseinandergesetzt mit dem inzwischen aus Europa importierten Rassismus. Die bis dahin von Hamid unterdrückte jungtürkische Bewegung konsolidiert sich als neue Führung des osmanischen Reiches.
Eine erste Amtshandlung der Jungtürken besteht in der Ausrottung der streunenden und friedlichen Hunde in Istanbul. Der Vorschlag eines französchen Wissenschaftlers, sie in Gaskammern zu töten, wird nicht umgesetzt. Stattdessen werden sie eingefangen und auf einer kleinen Insel ausgesetzt, auf welcher sie jämmerlich verhungern.
Gleichzeitig werden in Adana, Kessab, Latakia, Bazit und Antiochia tausende Armenier getötet und in den Fluss geworfen. Seeleute eines französischen Kreuzers berichten: „An der Küste sieht man nun schon, daß sie auf dem Wasser treiben, weil die Strömungen sie herantragen, und auf den europäischen Kriegsschiffen kann man beobachten, wie sie langsam, verstümmelt und aufgebläht, am Bug vorbeiziehen …“
Während Leo Trotzki anfangs die jungtürkische Bewegung als revolutionäre Kraft einschätzte, hatte er wohl schnell feststellen müssen, dass mit dem Import des in Europa stark verbreiteten rassistischen Gedankenguts die Morde des abgewirtschafteten Osmanischen Reiches sich wiederholten.
Drei Männer aus der jungtürkischen Bewegung hatten 1914 die absolute Macht im Osmanischen Reich. Der Innenminister Talaat Pascha, der Kriegsminister Enver Pascha und der Marineminister Dschemal Pascha. Sie nannten sich „Komitee für Einheit und Fortschritt“. Der Panturanismus setzte sich unter ihnen schnell als Ideologie durch. Der Rassismus, auf Blut und Boden für die Türken begründet, erstickte viele liberale und revolutionäre Hoffnungen. Gleichzeitig ist es die Geburt der Türkei. Der erste Weltkrieg beginnt und das Deutsche Kaiserreich pflegt beste Beziehungen und Bündnisse mit dem neuen Land. Während ganz Europa mit seinem Stellungskrieg beschäftigt ist, wird der Genozid vorbereit, den die Türkei bis heute verleugnet. Im ersten Schritt werden armenische Kulturschaffende, Geschäftsleute, Ärzte, Journalisten und Beamte verhaftet und umgebracht.

Die ewige Flamme

Die ewige Flamme

Der amerikanische Botschafter Henry Morgenthau konsultierte Innenminister Talaat Pascha und sprach ihn auf die Armenier an. „Warum interessieren Sie sich für die Armenier?” fragte dieser. „Sie sind doch Jude, und diese Leute sind Christen.” Die rassistische, menschenverachtende Argumentation gehörte bereits unverblümt zur Staatsräson.
Es wurde die Spezialorganisation „Teskilat-i-Mahsusa“ gegründet, welche sich großteils aus Häftlingen rekrutierte, die sich mit der Entlassung verpflichteten, jedem Befehl zu folgen, dafür aber straffrei ihre befohlenen Taten begehen konnten.
Der Genozid beginnt und es werden Informationen verlangt: „Wurden die gefährlichen Elemente massakriert oder lediglich aus den Städten vertrieben und deportiert? Teile es mir klar und deutlich mit, mein Bruder!” erkundigte sich Doktor Behaeddin Schakir Bey, Absolvent der Kaiserlichen Medizinischen Fakultät und nun Sonderbeauftragter in Sachen Armenien. Ab dem 24. April 1915 gibt es kein Halten mehr. Die Berichte von ausländischen Beobachtern zeigen, wie ungläubig und abgestoßen sie den Morden zusehen. Nach der Ermordung der armenischen Elite werden die armenischen Männer, meist Zwangsarbeiter in der Armee, ermordet. Es gibt Übergriffe in allen Ecken des Landes, Leichenberge. Übrige armenische Männer, Frauen und Kinder werden auf Gewaltmärsche durch das Land geschickt, von Klippen gestürzt, in Höhlen getrieben und ausgeräuchert, auf Schiffe getrieben und versenkt. Innerhalb kürzester Zeit sind weitere 1,5 Millionen Armenier tot. Der neutürkische Rassismus hat eine gesamte Kultur und seine Menschen so gut wie ausgerottet. Die Welt hielt sich aus dem Genozid raus, zu stark waren die Bestrebungen, selbst Anteil am Aufbau und am Profit der Türkei zu haben. Russlands Protektorat gab es nur noch auf dem Papier. Für die Verteidigung der bolschewistischen Revolution wurde das Militär aus dem unter seinem Schutz stehende Armenien abgezogen.

Blick von den Cascaden auf Yerevan

Blick von den Cascaden auf Yerevan

Im nächsten Jahr begeht Armenien den 100. Jahrestag der Gräueltaten. Das Land musste hart bezahlen für die Machtspiele einer Welt, an denen es selbst nie teilnahm. Es wäre angemessen, wenn auch kaum vorstellbar, dass die türkische Regierung als Zeichen der Erkenntnis und Reue diesen Jahrestag mitbegeht. Deutschlands Geschichte fußt auf einer unvorstellbaren Menge Blut, dass die Welt hat fließen lassen müssen. Die Gräueltaten Nazideutschlands haben andere und unvergleichbare Dimensionen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir uns dieser Schuld nicht bewusst bleiben. In seiner Obersalzbergrede vor der Wehrmacht nutzte Adolf Hitler explizit den Genozid als Argument für das strategische Töten, welches unter seinem Befehl in den folgenden Jahren Europa heimgesucht hat: „So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“
Ich wünsche Armenien einen weiteren, unblutigen und erfolgreichen Gang in der Welt und freue mich, wenn es sich seine freimütige und freundliche Gesellschaft erhält, die ich fünf Tage lang erleben durfte.

Vielen Dank an Adam J. Sacks, den wir im Hostel in Yerevan trafen. Er hielt im Genozid Museum in Yerevan Vorträge und diktierte mir an einem Abend derart viele Quellen, Namen und Zusammenhänge, dass sie für ein kleines Buch reichen würden. Bestimmt wird mein kleiner Artikel nicht seinem Wunsch nach einer wirklich ausführlichen Information über die Gräuel gerecht.

Links:
www.genocide-museum.am/eng/
www.genocide-museum.am/eng/conference-2014.php
de.wikipedia.org/wiki/Völkermord_an_den_Armeniern

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Ukraine-Stakkato http://www.hntrlnd.de/?p=599 http://www.hntrlnd.de/?p=599#comments Thu, 01 May 2014 06:34:12 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=599 DSC01281Die folgenden Zeilen sind sicher politisch unkorrekt und in jedem Fall unsortiert, aber so fanden sie den Weg in mein Notizbuch während der Zugfahrt nach Sotchi. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit:

Egal, wie die Gegend aussieht, die Kirchendächer glänzend blau und gold. Kaputte Fassaden, Küchen aus dem Katalog. Das Land so weit und so fruchtbar, aber auch so zerstritten. Kinder vor Karriere. Absatzschuhe wie Hochhäuser. Die Alten wollen die Sowjetunion zurück, weil da alles besser war. Ganz unrecht haben sie nicht. Die Jungen wollen Europa, weil da alles besser wird. Ganz unrecht haben auch sie nicht. Nicht jeder Freund Russlands ist ein Separatist, nicht jeder Freund Europas ein Nazi. Es gibt tatsächlich noch Leute, die einfach nur ihr Leben leben. Nationalbewusstsein entwickelt sich rasant, die Legislative kommt nicht mehr mit. Die Exekutive ist hilflos. Die Judikative schleppt sich hinterher. Der Bart Schevschenkos ist das Weinen der Ukraine. Geweint wird oft, mal mit Recht, mal ohne Verstand. Wer war nochmal Lenin, bitte? Regeln braucht der, der Regeln braucht. Wo kein Lichtschalter ist, muss auch keine Lampe hängen. Wie könnte man ein Land teilen, dass sich gar nicht einig ist? Eine Nation, reduziert auf schlechte Nachrichten. Die Krise. Die Russen sind schuld. Nein, die CIA. Oder Europa! Europa? Wir sind Europa! DSC01243Eine Nation der Zweitverwertung. Muss man eigentlich alles importieren? Es gibt doch eigene Firmen. Kein TÜV, keine Autobahn, keine Kindersitze. Bleifarbe an Klettergerüsten, dafür viel Kinderlachen. Es ist erstaunlich viel umsonst. Erstaunlich viel funktioniert einfach so. Schönheit muss nicht immer sein, oft reicht Nutzwert. Dicke Männer, dünne Frauen – Zeichen von Wohlstand. Aber das ganze Gejammer. Kippen schmeißt man nicht auf den Boden, rauchen ist fast überall nicht gern gesehen. Kulturlandschaften, die welche waren, sind oder noch werden sollen. Geringere Wertschätzung von Leben. Freundlichkeit ist in der Öffentlichkeit nicht angebracht, im persönlichen Umgang umso mehr. Leiden und Aushalten. Zu kleine Wohnungen. Kaum Supermärkte. McDonalds ist feines Essen. Überall nur Prepaid-Handys. Rostig funktioniert. Donbass gegen Lwow. Oben gegen unten. Rechts gegen links. Identifikation durch Abgrenzung nach außen und innen. Goldzähne, Gardinenfädenextensions, Augenbrauen in der Mitte der Stirn, Wangenknochen aus Himmel und Hölle. Irgendwo singt irgendwer immer die Hymne. Wie schön sie klingt, so traurig, so stark. Korruption, die alles irgendwie zusammenhält. Offensichtlich. Verbote nicht erfragen, einfach darüber hinwegsetzen. Recht ohne Verstand. Gewaltbereite Idioten auf allen Seiten mit Stöcken in der Hand. Ständige Suche nach Gründen. Billige Zigaretten sind schlechte Zigaretten. Anderes Frauenbild. Adidas, New Balance, spitze Lederschuhe. Musik wie eine Dusche. Blinklichter zeugen von Gemütlichkeit. Fleisch ist billiger als Obst. Vieles selbstgemacht statt neu gekauft. Stolz und Vorurteil. Die Gedanken sind frei. Verwinkelte Effizienz. DSC01287Man kann sich auch mal mit Dingen abfinden. Soviel Misstrauen, unverständlich und auch nicht. Schönes, reiches Land, warum weinst du? Zwei Sprachen im Ohr, zwei Herzen in der Brust. Übermalte Symbolik.

Ich gehe davon aus, dass mir viel davon wieder und wieder auf den nächsten Kilometern begegnen wird, denn dies ist der Anfang.

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Kharkov- Ukraine- Welt: Ein Essay http://www.hntrlnd.de/?p=522 http://www.hntrlnd.de/?p=522#comments Fri, 25 Apr 2014 16:31:03 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=522 Lenin und seine Bewacher

Lenin und seine Bewacher

Das Verblüffende an den russischen Separatisten ist, dass man sie im Stadtbild nicht wahrnimmt. Wären da nicht die zehn Omas und Opas, die mit ihrer Fahne der russischen Armee vor dem Lenindenkmal sitzen. Für wenige Stunden ist ein weiterer Stand aufgebaut, dessen Fahnen das Orange-Schwarz gestrichene mit dem bekannten Rot ergänzen. Rechts die Fahne der UdSSR, links die Fahne der ukrainischen Arbeiterpartei. Neben Hammer und Sichel wird diese um den Namen der Partei ergänzt.
Wir setzen uns etwas abseits auf die Sockeltreppe und trinken zuvor erworbenen Kaffee. Die Sonne wärmt den Rücken.
An dem Stand erklingen die Internationale und andere bekannte Kampflieder. Ein Opa mit Schirmmütze wacht über die Technik aus den Achtzigern. Ein anderer, dem Aussehen nach eine Mischung aus Schachweltmeiter, Leiter einer UdSSR Reiszweckenfabrik und arbeitslosem Professor, dringt gerade als Ein-Mann-Propagandaministerium in die Köpfe zweier wahrscheinlich aus Versehen vorbeigelaufender Jugendlicher ein. Sie hören höflich zu, ihre Gestik vermittelt aber starke Fluchtgedanken.

Bewacher s chauen auf einen großen leeren Platz

Bewacher schauen auf einen großen leeren Platz

Kharkov ist eine Studentenstadt. Man sieht ihr sofort ihre Internationalität an. Selbst der extrovertierteste Australier könnte hier keine besondere Aufmersamkeit erregen. Angst vor Fremdem muss in dieser Stadt zu einer aussterbenden Emotion werden.
Zwar ist die russische Grenze nicht weit entfernt und Russisch ist eindeutig die Hauptumgangssprache, trotzdem unterstelle ich der Stadt eine Immunität gegen Extremismus, die Vielfalt ist zu groß. Der eine oder andere alte Ordenträger wird ergänzen wollen, dass Kharkov erst durch seinen Aufbau in der Sowjetunion die monumentale Schönheit erhalten hat, dem möchte ich nicht wiedersprechen. Die Freiheit, die sich im Stadtleben wiederspiegelt, die Vielfalt an Läden und Gütern, die modernisierten Häuser und Parks sind aber Errungenschaften der letzten 24 Jahre. Nostalgie und Traditionalismus können dieses offensichtliche Bild nicht widerlegen.

Premier Hotels

Premier Hotels

Froh sind wir, dass wir bei unserem dritten Stop in der Ukraine endlich den ersten Lenin gefunden haben. An dieser Stelle zitiere ich eine ukrainischstämmige Freundin: “Schade finde ich nur, dass sie Lenin überall entfernen. Ich mag Deduschka Lenin.”
Hier könnte man vermarktbaren Kult erahnen, Hagen Rether formulierte es mal treffend: “Che Guevara? Ist das nicht der, der den Latte Machiato erfunden hat?”
Der sozialistische Versuch, oder Alptraum, kommt auf die Sichtweise an, ist längt ohne historischen Bezug zur Modemarke geworden, kurzzeitig hip, weil nicht Mainstream, dann bereits Motiv in der Raucherecke des Schulhofs, danach die Absatzschwäche des Modelabels, eine Idee hat sich verkauft, keine Nachfrage mehr.
Wir werden auch in Russland sehen, wie die Suche nach neuen Absatzmärkten mit ihren Großkonzernen und Werbebotschaften das Leben bunter und gierig nach neuestem Klimbim gemacht hat. Den Anstieg der Lebensqualität werden wir wahrnehmen, den harten Kampf des Mittelstandes um sich selbst, das egoistische Kleinbürgerliche als Lebensziel, nicht mehr drangsaliert vom ideologischen Überbau, aber in einem Staat mit einem unterbezahlten Sozialsystem. Putin wird nur kurzzeitig alte Strukturen für seinen Machtausbau nutzen können. Und wenn ihr mich fragt, Europa sollte mal schön die Schnauze halten und aufhören, mit sinnlosen Sanktionen zu drohen. Eine Gesellschaft, für deren Festhalten an der Idee eines Wirtschaftwachstums Näherinnen unter zusammenbrechenden Fabrikhallen begraben werden, deren Müllentsorgung in anderen Regionen die Lebenserwartung derer, die dort versuchen mensch zu sein, auf kaum erwachsen – schon tot senkt, um nur zwei Beispiele ihres Schmarotzertums zu benennen, erstickt bei jeder Menschenrechtspredigt sofort an ihrer Doppelmoral.

Ruhm den Helden des Krieges 1941 - 1945

Ruhm den Helden des Krieges 1941 – 1945

In der Ukraine gibt es nun wieder Kriegsanleihen. Man kann auf verschiedensten Wegen und mit kleinen Beiträgen die Armee unterstützen. Der Militarismus ist auf dem Vormarsch.
Die Werbung zeigt eine zu Tränen gerührte Mutter mit Proviantkörbchen hinter dem Kasernenzaun, die ihrem Sohn beim Exerzieren zuguckt. Millionen wurden bereits mit solchen Kampagnen in den Verteidigungshaushalt gespült. Es wird wohl nicht lange dauern, bis nicht nur die Soldaten wieder einen Sold bekommen, sondern auch schöne neue Leopard-II-Panzer zur Verteidigung der Souveränität eingekauft werden können.
Wir spazieren mit Kosko, einem Bekannten aus Kharkov, durch die Stadt und er berichtet stolz, dass er regelmäßig ein paar Cent mehr für eine sms bezahlt, um die Armee zu unterstützen. “Warum?” frage ich “Glaubst Du wirklich, Eure Armee hätte eine Chance gegen die zweitgrößte Militärmacht der Welt?” “Nein” “Na dann feiert doch Eure erneuerte Freiheit und sagt den Russen, na los, schießt uns doch zusammen, wir haben sowieso keine Chance.” “Du verstehst das nicht.” sagt Kosko und da hat er recht, ich verstehe es nicht. Ich habe ja auch keine Ahnung vom Alltag in einem System in welchem die Gewaltentrennung kurz vor dem Zusammenbrechen ist, weil sie nicht mehr finanziert werden kann.

Kharkover Stadtleben

Kharkover Stadtleben

Wir spazieren also durch Kharkov und sind begeistert von der Stadt. Innerhalb von 300 Jahren wurde an ein paar kleinen Flüsschen eine Zweimillionenstadt in die Landschaft gemeißelt. Wenn man hinter den sowjetischen Prunkbauten und Plätzen in eine Seitenstraße einbiegt, entdeckt man urbanes Leben in Vierteln, die von Gründerbauten und Bauhausarchitektur geprägt sind. Modern ist die Stadt und sauber. Der Blick schweift schnell ab zu den Passantinnen, die vielleicht gerade auf dem Weg zur Uni sind, oder zum nächsten Taschengeschäft. Das Lenindenkmal wird weiterhin von zehn Rentnern bewacht. In Slaviansk wurden die ersten prorussischen Besatzer, also Terroristen, von Spezialeinheiten erschossen. Ein proukrainischer Checkpoint in Odessa explodiert. Irgendwo fliegt Jemandem der Hut davon. Angst macht Märkte stabiler und festigt das Oligarchentum von weltweit agierenden, undurchsichtigen Konzernstrukturen, deren wichtigstes Lebensziel eine zufriedene Aktionärsversammlung ist. Wenn dieses Ziel nicht erreicht werden kann, muss man erstmal wieder richtig Schotter machen. Das  klappt am Besten mit der Etablierung eines Feindes und der sinnlosen Produktion von Wehrhaftigkeit. Es gibt keine neue Welt in einem alten Wertesystem.

Kharkov- Ukraine- Welt- Eine Richtigstellung

Nacht in Kharkov

Nacht in Kharkov

Eins war klar – wir würden in dieser Stadt und im Bekanntenkreis keine pro-russische Meinung zu hören bekommen. Eins war mir nicht klar – selbst der größte Peacer unter ihnen würde zur Waffe greifen, wenn es Krieg gäbe. Und er würde auf russische Soldaten schießen, selbst wenn er keine Chance hat.
Aber fangen wir am Ende an: Kosko hat uns nach einem langen Abend ein Taxi bereitgestellt, das uns nach Hause bringt. Ich frage den Taxifahrer auf Russisch, wie der Job so läuft, er sagt, er tut das nur nebenbei, eigentlich bemalt er Dinge, Motorräder und solche Sachen, er rutscht ins Englische. “Paintbrush?” frage ich “Nein, bemalen” sagt er, ich frage nicht weiter nach. “Aber eins ist klar,” redet er weiter, als wenn er die Frage geahnt hätte “ich bin der Erste, der seine Waffe benutzt, wenn sie weiter unser Land angreifen. Sie haben sich einfach die Krim genommen, jeden Sommer bin ich dort gewesen, mein Land, und ich konnte nichts machen.” “Warum solltest Du auch,” frage ich ” Du hättest doch keine Chance?” “Aber ich würde sie erschießen, solange ich kann, sie haben kein Recht, mir MEIN Land wegzunehmen. Ich fahre Taxi, um mir eine Automatische kaufen zu können!”
Er redet nur russisch, wenn er im Englischen nicht weiterkommt, mitten in Kharkov.
“Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten” kontere ich, “das ist doch Selbstmord?” “Ist mir egal, mein Land ist kein Bruder der Russen.”
Ich wäre erschüttert, wenn diese Stimmung nicht den ganzen Abend begleitet hätte. Als er uns absetzt, bedanke ich mich für das Gespräch, boxe ihn leicht an die Schulter dabei, er reicht mir die Hand und drückt sie fest.

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