Sodom und Gomorra

Norair Gregorian

Norair Gregorian

Das ist Norair Grigorian. Beim Besuch der Gedenkstätte für den Genozid der Türken an den Armeniern, die aber leider geschlossen hatte, lief uns ein alter Herr über den Weg, genauer gesagt lief er uns nach. Durch sein auf den ersten Blick gepflegtes Äußeres machte er den Eindruck eines Offiziellen, sein Hemd gebügelt, die Hose sauber umgeschlagen, glänzende Lederschuhe. Als er mich ansprach, musste ich Jens hinzuziehen, denn mein Russisch und sein Englisch waren einfach zu schlecht, um einen wirkliche Konversation zu entwickeln.

Neben ein paar interessanten Informationen über die Gedenkstätte teilte uns Norair mit, dass er 12 Jahre politischer Gefangener in Sibirien war, weil er CIA- Agent gewesen sei. Dies kam, weil er an der Seite der Amerikaner gegen die UdSSR und ihr autoritäres Regime kämpfte. Bis zum Ende des Stalinismus war der Genozid an den Armeniern ein Tabu, ein Grund also, gegen das System zu sein. Im armenisch-aserbaidschanischen Krieg, welcher in den Achtziger Jahre die Menschen aus Berg Karabach tötete und flüchten ließ, waren die Amerikaner auf der Seite Aserbaidschans, Norair als gebürtiger Armenier aber nicht, was zu einem Zerwürfnis mit der CIA führte und ihm zusätzlich zwei Jahre Gefangenschaft in den USA einbrachte. Welcher Arbeit er nachgeht und ob er überhaupt eine hat, war nicht aus ihm herauszubekommen, lediglich, dass irgendwann nach seiner Gefangenschaft Gott zu ihm sprach und ihm mitteilte, er müsse ein Buch schreiben, für welches er aber bis heute keinen Verleger finden konnte. Erst wollte er uns nicht so recht davon erzählen, weil er Angst hatte, wir würden ihn für verrückt halten, tat es dann aber doch. Sein Buch handelt, soweit wir das verstehen konnten, vom Untergang der sieben großen, sündigen Städte Kopenhagen, Istanbul, Hannover, New York, Moskau, Kapstadt und Amsterdam, wie es in der Bibel mit Sodom und Gomorra geschah. Wann genau das geschehen soll, sagte er uns nicht.
Er fragte nach unserem Glauben und wir teilten ihm mit, dass wir keinen haben. Er zeigte Verständnis und sagte, dass er bis zu seinem Gespräch mit Gott ebenfalls keinen hatte. Nun aber liest er nur noch in der Bibel, denn dort würde er die Antworten auf alle, auf wirklich alle Fragen finden. Wir verabschiedeten uns freundlich, bevor das Gespräch endgültig seine Konsistenz verlieren würde. Trotzdem Danke, Norair, für Deine Aufgeschlossenheit und Selbstironie.

Ein Gedanke zu „Sodom und Gomorra

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