hntrlnd » Ukraine http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Kharkov – Sochi http://www.hntrlnd.de/?p=606 http://www.hntrlnd.de/?p=606#comments Fri, 02 May 2014 08:03:55 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=606 Zug und Nacht und Rostov

Zug und Nacht und Rostov

Von Kharkov nach Rostov am Don, platzkartnui Wagon. Die Tickets kosten für die ganze Strecke bis Sochi nicht um die fünfzehn, sondern siebzig Euro pro Person. Die Abteile sind eng, keine Türen zum Abschließen. Den Raum, auf dem im Coupe vier Fahrgäste liegen, teilen sich hier sechs Leute. Noch weniger Privatsphäre und diesmal keine schöne Ukrainerin in Sichtweite. Der Wagon auf der Zugstrecke Minsk – Sochi ist sauber, die Mitfahrenden sind verschlafen, die Liegen bereits runtergeklappt. Der Ein- und Ausstieg, in welchem man raucht, ist wieder mit Aschenbechern ausgestattet. Ein Schild weist darauf hin, dass auf der Durchfahrt durch die Ukraine nicht geraucht werden darf: Altbekannte Prozedur, die Durchgangstür zum nächsten Wagon öffnen und zwischen den Wagons auf die Schienen aschen.

Ukraine und Landschaft und Gleise

Ukraine und Landschaft und Gleise

Fünf Tage vor Abfahrt waren wir auf dem Kharkover Bahnhof, um die Tickets zu kaufen. Wir hatten nicht an Wuichodnuie gedacht, für welche die freien Tage um den ersten Mai herum gerne genutzt werden, außerdem hatten wir uns blenden lassen von Statistiken, welche besagten, dass der Ticketkauf Richtung Krim und Russland um dreißig Prozent zurückgegangen sei. Auf dem Weg zum Fahrkartenschalter wurde ich von jemanden in Zivil angehalten, er zeigte ein Dokument, welches ihn wahrscheinlich als Polizisten auswies, ein uniformierter Polizist stand neben ihm. Er fragte mich, was ich hier wolle, wo ich hin will und woher ich komme. Also zeigte ich meinen Pass und sagte was von Deutschland und Urlaub und Sochi, wie immer wurden aufmerksam und interessiert die Visa durchgeblättert, ich bekam den Pass ohne weitere Nachfrage zurück. Diese Begebenheit vermittelte mir einen weiteren Eindruck von der Nervosität der ukrainischen Behörden. Am Fahrkartenschalter wurde uns schnell mitgeteilt, dass es keine Tickets mehr gäbe, weder für den Zug Minsk – Sochi, noch für den Zug Moskau – Sochi. Wir waren erschüttert. “Na, da muss es doch eine Möglichkeit geben”, murmelte die Angestellte am Schalter für internationale Gäste in fließendem Englisch und tippte lange und konzentriert auf der Tastatur. “Das ist möglich” sagte sie dann, während sich bereits Schweißperlen auf unserer Stirn bildeten. “Ihr bekommt Platzkarten für den Zug Minsk – Sochi, fahrt bis Rostov, zwei Stunden später steigt ihr in den Zug Moskau – Sochi, wieder mit Platzkarten.” “Perfekt,” rief ich “machen wir so.” In meiner Euphorie fragte ich mal wieder, ob ich ein Foto von ihr machen dürfe. Sie freute sich: “Gerne, doch hier dürfen keine Fotos gemacht werden.” “Das sieht doch keiner.” sagte ich. “Doch die Kameras.” grinste sie, ihr Zeigefinger hob sich von der Tastatur ein wenig zur Seite hin.

Platzkartnui und Fenster und Rausgucken

Platzkartnui und Fenster und Rausgucken

Jetzt sitzen wir also im Minsk-Sochi Zug und bekommen Waren feilgeboten, laut werden Vorzüge und günstige Preise vorgetragen, Schlafende sind egal. Folgende Liste beschreibt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, das Sortiment: Blumenvasen, mit Blumenmuster, oder ohne, vergoldet, oder nicht, Kinderbuntstiftsets, Walnüsse, Milch, andere Nüsse, einen Meter hohe Vasen (das Angebot entspricht wirklich dem eines gut aufgeräumten Vasenladens), Käse, karierte Taschen voll Zeug, Brot, Brennholz, Bier, Besteck und das beste Gebäck überhaupt, wenn man der Verkäuferin glauben mag.
Die ukrainische Landschaft fährt am Fenster vorbei, die Bäume blühen, mehr Birkenwäldchen, also fahren wir in die richtige Richtung. Nach vier Stunden Fahrt werde ich bereits das zweite Mal von Polizisten kontrolliert. Sie entdecken mich, als ich durch das Türfenster der Raucherecke Fotos von vorbeifahrender Natur mache. Wir fahren zwar durchs Donezk-Gebiet, aber von einem fahrenden Zug aus sind keine Besonderheiten zu entdecken. Eine Straßensperre aus alten Reifen bekomme ich nicht rechtzeitig in den Fokus.

Bahnsteig und Hightech-Zug und kurz vor Sochi

Bahnsteig und Hightech-Zug und kurz vor Sochi

“Gehörst Du zu dem Wagon?” fragt mich der eine Polizist “Ja”. “Hast Du Drogen dabei?” fragt der zweite. “Nein, keine Drogen.” “Wo kommst Du her?” “Aus Deutschland.” “Alleine unterwegs?” “Mit einem Freund.” “Kommt ihr aus Weißrussland?” “Nein, aus der Ukraine.” “Aha, was habt ihr hier gemacht?” “Urlaub?” “Zeige Deine Dokumente!”. Also gehen wir zu den Liegen. “Hast Du ein Telefon dabei?” “Ja, aber das Akku ist alle.” “Zeige es trotzdem!” Er schaltet es ein und klickt wild durch die Apps, findet Fotos, dann geht das Handy wieder aus, Dirks Handy wird auch durchgeklickt. Ich habe die ganze Zeit den Fotoapparat in der Hand, dessen Aufnahmen wohl relevanter wären, aber dieser interessiert die beiden Polizisten scheinbar nicht mehr, sie haben wohl nicht genug Indizien für irgendwas gefunden, stattdessen werden willkürlich noch ein paar andere Passagiere kontrolliert.
Die Grenzkontrollen verlaufen dann auf beiden Seiten schnell. Interessant ist vielleicht, dass die ukrainischen Zöllner bereits fünfzig Kilometer vor der Grenze den Zug kontrollieren. Die Russen blättern direkt an der Grenze durch unsere Visa.
Rostov am Don – schicker Bahnübergang, viele Sitze in großen Wartesälen, vereinzelt schlafen Wartende.
Der nächste Zug kommt auf die Minute pünktlich. Wieder ein platzkartnui Wagon, diesmal neuester russischer Hightech. Ein kleines Schildchen informiert darüber, dass wir in einem Glückswagon mitfahren, ein Passagier hat auf Platz soundso gesessen und 500000 Rubel gewonnen, weshalb es sich durchaus lohnt, an der Bahnlotterie teilzunehmen. Wir finden nach längerer Suche unsere Liegen. Alle schlafen. Am Morgen zeigt sich das Manko der eng besetzten Nachtzüge. Die morgendliche Routine ermöglicht es nicht, sich nicht ständig gegenseitig auf die Füße zu treten. Dicht an dicht drängen sich Passagiere durch den engen Gang aneinander vorbei.
Es gelingt mir immer noch nicht, dem Gespräch zwischen Russen sinngemäß zu folgen, zu schnell, zu viel neu, die Sprache hat sich verändert. Eine schöne Russin zieht kurz vor Sochi eine Jeansjacke an. Steht ihr nicht. Tolle dunkelbraune Augen.

Wagon und Deschurnaja und angekommen

Wagon und Deschurnaja und angekommen

Ich frage die Deschurnaja, ob sie uns bis Adler weiterfahren lässt, obwohl wir doch nur Tickets bis Sochi gekauft haben. Sie grinst kurz und macht dann wieder ein ernstes Gesicht “Das entscheide ich in Sochi, ich sage dann Bescheid” Auf weitere fragende Blicke meinerseits antwortet sie bis Sochi mit besonders ausdrucksstarker Ignoranz. Am Bahnhof schaue ich von der Wagontür aus kurz auf den Bahnsteig und zu ihr. Ihr Handwink vermittelt, dass die Fahrt eine Station weiter klar geht. Der Zug kommt auf die Minute pünktlich an. Gerne lässt sich unsere Deschurnaja vor ihrem Wagon fotografieren. Adler, Olympiapark, Palmen, Schwarzes Meer.

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Bilder aus: Kharkov http://www.hntrlnd.de/?p=659 http://www.hntrlnd.de/?p=659#comments Fri, 02 May 2014 04:34:26 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=659 DSC01168

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Ukraine-Stakkato http://www.hntrlnd.de/?p=599 http://www.hntrlnd.de/?p=599#comments Thu, 01 May 2014 06:34:12 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=599 DSC01281Die folgenden Zeilen sind sicher politisch unkorrekt und in jedem Fall unsortiert, aber so fanden sie den Weg in mein Notizbuch während der Zugfahrt nach Sotchi. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit:

Egal, wie die Gegend aussieht, die Kirchendächer glänzend blau und gold. Kaputte Fassaden, Küchen aus dem Katalog. Das Land so weit und so fruchtbar, aber auch so zerstritten. Kinder vor Karriere. Absatzschuhe wie Hochhäuser. Die Alten wollen die Sowjetunion zurück, weil da alles besser war. Ganz unrecht haben sie nicht. Die Jungen wollen Europa, weil da alles besser wird. Ganz unrecht haben auch sie nicht. Nicht jeder Freund Russlands ist ein Separatist, nicht jeder Freund Europas ein Nazi. Es gibt tatsächlich noch Leute, die einfach nur ihr Leben leben. Nationalbewusstsein entwickelt sich rasant, die Legislative kommt nicht mehr mit. Die Exekutive ist hilflos. Die Judikative schleppt sich hinterher. Der Bart Schevschenkos ist das Weinen der Ukraine. Geweint wird oft, mal mit Recht, mal ohne Verstand. Wer war nochmal Lenin, bitte? Regeln braucht der, der Regeln braucht. Wo kein Lichtschalter ist, muss auch keine Lampe hängen. Wie könnte man ein Land teilen, dass sich gar nicht einig ist? Eine Nation, reduziert auf schlechte Nachrichten. Die Krise. Die Russen sind schuld. Nein, die CIA. Oder Europa! Europa? Wir sind Europa! DSC01243Eine Nation der Zweitverwertung. Muss man eigentlich alles importieren? Es gibt doch eigene Firmen. Kein TÜV, keine Autobahn, keine Kindersitze. Bleifarbe an Klettergerüsten, dafür viel Kinderlachen. Es ist erstaunlich viel umsonst. Erstaunlich viel funktioniert einfach so. Schönheit muss nicht immer sein, oft reicht Nutzwert. Dicke Männer, dünne Frauen – Zeichen von Wohlstand. Aber das ganze Gejammer. Kippen schmeißt man nicht auf den Boden, rauchen ist fast überall nicht gern gesehen. Kulturlandschaften, die welche waren, sind oder noch werden sollen. Geringere Wertschätzung von Leben. Freundlichkeit ist in der Öffentlichkeit nicht angebracht, im persönlichen Umgang umso mehr. Leiden und Aushalten. Zu kleine Wohnungen. Kaum Supermärkte. McDonalds ist feines Essen. Überall nur Prepaid-Handys. Rostig funktioniert. Donbass gegen Lwow. Oben gegen unten. Rechts gegen links. Identifikation durch Abgrenzung nach außen und innen. Goldzähne, Gardinenfädenextensions, Augenbrauen in der Mitte der Stirn, Wangenknochen aus Himmel und Hölle. Irgendwo singt irgendwer immer die Hymne. Wie schön sie klingt, so traurig, so stark. Korruption, die alles irgendwie zusammenhält. Offensichtlich. Verbote nicht erfragen, einfach darüber hinwegsetzen. Recht ohne Verstand. Gewaltbereite Idioten auf allen Seiten mit Stöcken in der Hand. Ständige Suche nach Gründen. Billige Zigaretten sind schlechte Zigaretten. Anderes Frauenbild. Adidas, New Balance, spitze Lederschuhe. Musik wie eine Dusche. Blinklichter zeugen von Gemütlichkeit. Fleisch ist billiger als Obst. Vieles selbstgemacht statt neu gekauft. Stolz und Vorurteil. Die Gedanken sind frei. Verwinkelte Effizienz. DSC01287Man kann sich auch mal mit Dingen abfinden. Soviel Misstrauen, unverständlich und auch nicht. Schönes, reiches Land, warum weinst du? Zwei Sprachen im Ohr, zwei Herzen in der Brust. Übermalte Symbolik.

Ich gehe davon aus, dass mir viel davon wieder und wieder auf den nächsten Kilometern begegnen wird, denn dies ist der Anfang.

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Metallist vs. Dnipro http://www.hntrlnd.de/?p=560 http://www.hntrlnd.de/?p=560#comments Mon, 28 Apr 2014 08:15:34 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=560 015Gestern wurden wir Zeuge einer im ukrainischen Fußball nicht neuen, aber ungewöhnlichen Situation: Die ansonsten verfeindeten Ultra-Gruppen der Erstliga-Vereine Metallist Kharkov und Dnipro Dnipropetrovsk trafen sich anlässlich des Duells beider Mannschaften zu einem gemeinsamen und friedlichen Marsch vom Platz der Verfassung zum Stadion in Kharkov.

009Der Marsch setzte sich nach dem Singen der ukrainischen Hymne in Bewegung und es vergingen keine fünf Minuten, da brannten die ersten Pyros, wurden die ersten Kanonenböller abgefeuert, Autoalarmanlagen heulten, Hunde bellten, diverse, aber zahlreiche Ordnungskräfte begleiteten das Spektakel eher beiläufig und stimmten gelegentlich in die pro-ukrainischen Gesänge ein. Nicht nur Fußballfans und Ultras gehörten dieser Demonstration an, sondern auch normale Bürger der Stadt.

007Im Allgemeinen fand jedoch eine für deutsche Verhältnisse undenkbare Vereinnahmung des Fußballs für politische Zwecke statt. Für derzeitige ukrainische Verhältnisse ist das durchaus verständlich, denn wie bereits in Odessa hat man hier das Gefühl, dass beide Fangruppen gegen einen übergeordneten Gegner ankämpfen, den sie nur gemeinsam besiegen können. Der Nationalismus, der hier durch die Fans gezeigt wird, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, sondern hat sich erst in den letzten Wochen und Monaten entwickelt und wurde direkt, als auch indirekt befeuert durch die aus ukrainischer Sicht andauernde Bedrohung des ehemals großen Bruders. Vor den Ereignissen der letzten Zeit wäre es schier undenkbar gewesen, dass sich ein ukrainischer Ultra für politische oder nationalistische Zwecke in irgendeiner Weise hätte vereinnahmen lassen.

013Doch ebenso festzustellen war, dass die gesamte Aktion auf mediale Wirkung abzielte, denn alles machte einen geplanten Eindruck, nahezu mit einer Choreographie versehen, aber das kennt man ja von gut organisierten Fanblocks, nur eben nicht in diesem Ausmaß und über Vereinsgrenzen hinweg.

016Als dann das Gerücht aufkam, das ca. 400 pro-russisch gesinnte Fans auf dem Weg in Richtung der Demonstration seien, erfasste die Menge erst eine gespenstische Stille, dann lag plötzlich und merkbar das Gefühl in der Luft, dass „gleich was passiert“. Und so war es denn auch; die Marschroute wurde geändert und die meist vermummten Ultras bewegten sich in Richtung der pro-russischen Fans, um sich schließlich mit ihnen blutige Straßenschlachten zu liefern. Steine flogen, Autos und Scheiben gingen zu Bruch, Blaulicht, viel wurde spekuliert, Menschen mit Kindern brachten sich in Sicherheit.

017Die Verbrüderung der Fangruppen hielt diesmal auch während des Spiels an, so wurde zu Beginn jeder Halbzeit gemeinsam die ukrainische Nationalhymne angestimmt und wie bereits in Odessa wurden kanon-artige Chöre mit „Slava Ukraina! Gerojem slava!“ gesungen. Nach dem Spiel wurde der Fanblock der unterlegenen Mannschaft sogar vom anderen Fanblock mittels Applaus verabschiedet.

Hinzu kamen, sowohl vor als auch während des Spiels zahlreiche eindeutige Schmähsprüche in Richtung Wladimir Putin, in denen er mal als aktiv, mal als passiv homosexuell bezeichnet wurde, was aber auch eine Aussage über die Homophobie in den Fankreisen ist, wobei die homophobe Politik des heutigen Russlands solchen Slogans Vorschub leistet. Weiterhin muss ich festellen, dass das Auftreten und die Kleidung einiger Fans ihnen in Deutschland das Attribut “Neonazi” einbringen würde. Ich weiß aber zu noch zu wenig über die ukrainische Fankultur, als dass ich einschätzen kann, warum jemand hier ein Hemd mit Runen trägt. Aber ein Hitlergruß bleibt ein Hitlergruß.

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Während des Spiels versuchte die Stadionleitung mehrfach, die Fans vom Singen Putin-feindlicher Gesänge abzuhalten, erst durch Lautsprecherdurchsagen, dann durch das Einspielen von Applaus, der die Gesänge übertönte. Ein Katz-und-Maus-Spiel.

017aDas Spiel endete letztendlich 2:1 für Kharkov, was ein nicht unverdientes Ergebnis war, da die Gäste lediglich eine echte Torchance hatten, und diese auch noch durch einen fragwürdigen Elfmeter. Die Fangesänge, die regelmäßig in einen anti-russischen Chorus endeten und die Abwesenheit der Hälfte der heimischen Ultras, die wohl noch mit Straßenschlachten beschäftigt waren, zeigten, dass das Spiel für die Fanblöcke eher Nebensache war. Es war vielmehr Anlass zu pro-ukrainischem Gemeinsinn.

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Eine Nacht in sieben Sätzen http://www.hntrlnd.de/?p=548 http://www.hntrlnd.de/?p=548#comments Sun, 27 Apr 2014 11:07:08 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=548 gestern_nacht_1Die gestrige Nacht war ereignis- und lehrreich, aber es gibt schon zu viele Partygeschichten, als dass hier Platz für lange Abhandlungen wäre, deswegen nun der Versuch, die Erlebnisse auf sieben Sätze zusammenzuordnen:

1. Die Bar, in der wir mit unseren neuen ukrainischen Freunden Poker spielten, hatte ihre besten Zeiten wohl knapp nach dem Zusammenbruch der UdSSR und glänzte durch – nein, da glänzte nichts mehr außer der Stirn des fetten Inhabers, der uns irgendwann rausschmiss, weil wir nicht genügend tranken – schade eigentlich, denn die Stimmung und das Ambiente waren so sympathisch verbraucht.

2. In einem Laden namens „Schweinekeller“ (soweit ich das korrekt übersetzt habe) gab es einen Kicker-Tisch, aber kein Bier, stattdessen nahezu ungenießbare White Russians, für die der Barkeeper ein Handbuch und zehn Minuten brauchte – also lieber doch woanders hin.

gestern_nacht_23. Der 24h-Irish-Pub bot auf einer englischen Karte tatsächlich Faggott Sausages an, ich habe sie nicht probiert, denn wir wollten ja eigentlich nur kurz Boxen gucken, aber leider musste ich mich vor der Tür just im Moment des Niederschlags mit einer erstaunlich gut gebauten und erstaunlich betrunkenen Frau über die russische Außenpolitik der letzten Wochen unterhalten.

4. Der „Underground“-Club namens „Schifjiot“ (Bauch), im Keller eines abrissreifen Hauses gelegen, besaß zwei Floors, einer, auf dem sich ein 17-jähriger DJ mit House-CDs vor seinen Kumpels ausprobieren durfte, ein weiterer, größerer Floor, auf dem ein alter Mann mit Zopf und zu engem T-Shirt jeden Break seiner Hardtrance-Goa-Deppentechno-130bpm-Syncbutton-Mische mit euphorischen Grimassen und Häuslebauer-Händefuchteln vor den anwesenden, anscheinend Hüpfburg-erprobten Kids kommentierte.

5. Zum Glück waren wir wenigstens nicht mehr in der „Cherry Hall“, denn dort wurde tags zuvor eine Nissan Juke-Promotionparty abgehalten und das gilt es in jedem Land der Welt zu meiden.

6. Der Taxifahrer, der uns nach Hause brachte, war eigentlich Lackierer und fuhr nur nebenbei Taxi, um sich eine Knarre kaufen zu können, mit der er dann die verdammten Russen erschießen könne, die ihm die Krim geklaut hatten.

gestern_nacht_47. Nach zwei selbstgebrauten Samagon, einem großen Jägermeister, einer harten Rum-Cola und einer noch härteren Wodka-Cola liege ich im Bett, strecke die Füße zum Bremsen raus und denke mir: „War lustig, machen wir nicht nochmal.“

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Kharkov- Ukraine- Welt: Ein Essay http://www.hntrlnd.de/?p=522 http://www.hntrlnd.de/?p=522#comments Fri, 25 Apr 2014 16:31:03 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=522 Lenin und seine Bewacher

Lenin und seine Bewacher

Das Verblüffende an den russischen Separatisten ist, dass man sie im Stadtbild nicht wahrnimmt. Wären da nicht die zehn Omas und Opas, die mit ihrer Fahne der russischen Armee vor dem Lenindenkmal sitzen. Für wenige Stunden ist ein weiterer Stand aufgebaut, dessen Fahnen das Orange-Schwarz gestrichene mit dem bekannten Rot ergänzen. Rechts die Fahne der UdSSR, links die Fahne der ukrainischen Arbeiterpartei. Neben Hammer und Sichel wird diese um den Namen der Partei ergänzt.
Wir setzen uns etwas abseits auf die Sockeltreppe und trinken zuvor erworbenen Kaffee. Die Sonne wärmt den Rücken.
An dem Stand erklingen die Internationale und andere bekannte Kampflieder. Ein Opa mit Schirmmütze wacht über die Technik aus den Achtzigern. Ein anderer, dem Aussehen nach eine Mischung aus Schachweltmeiter, Leiter einer UdSSR Reiszweckenfabrik und arbeitslosem Professor, dringt gerade als Ein-Mann-Propagandaministerium in die Köpfe zweier wahrscheinlich aus Versehen vorbeigelaufender Jugendlicher ein. Sie hören höflich zu, ihre Gestik vermittelt aber starke Fluchtgedanken.

Bewacher s chauen auf einen großen leeren Platz

Bewacher schauen auf einen großen leeren Platz

Kharkov ist eine Studentenstadt. Man sieht ihr sofort ihre Internationalität an. Selbst der extrovertierteste Australier könnte hier keine besondere Aufmersamkeit erregen. Angst vor Fremdem muss in dieser Stadt zu einer aussterbenden Emotion werden.
Zwar ist die russische Grenze nicht weit entfernt und Russisch ist eindeutig die Hauptumgangssprache, trotzdem unterstelle ich der Stadt eine Immunität gegen Extremismus, die Vielfalt ist zu groß. Der eine oder andere alte Ordenträger wird ergänzen wollen, dass Kharkov erst durch seinen Aufbau in der Sowjetunion die monumentale Schönheit erhalten hat, dem möchte ich nicht wiedersprechen. Die Freiheit, die sich im Stadtleben wiederspiegelt, die Vielfalt an Läden und Gütern, die modernisierten Häuser und Parks sind aber Errungenschaften der letzten 24 Jahre. Nostalgie und Traditionalismus können dieses offensichtliche Bild nicht widerlegen.

Premier Hotels

Premier Hotels

Froh sind wir, dass wir bei unserem dritten Stop in der Ukraine endlich den ersten Lenin gefunden haben. An dieser Stelle zitiere ich eine ukrainischstämmige Freundin: “Schade finde ich nur, dass sie Lenin überall entfernen. Ich mag Deduschka Lenin.”
Hier könnte man vermarktbaren Kult erahnen, Hagen Rether formulierte es mal treffend: “Che Guevara? Ist das nicht der, der den Latte Machiato erfunden hat?”
Der sozialistische Versuch, oder Alptraum, kommt auf die Sichtweise an, ist längt ohne historischen Bezug zur Modemarke geworden, kurzzeitig hip, weil nicht Mainstream, dann bereits Motiv in der Raucherecke des Schulhofs, danach die Absatzschwäche des Modelabels, eine Idee hat sich verkauft, keine Nachfrage mehr.
Wir werden auch in Russland sehen, wie die Suche nach neuen Absatzmärkten mit ihren Großkonzernen und Werbebotschaften das Leben bunter und gierig nach neuestem Klimbim gemacht hat. Den Anstieg der Lebensqualität werden wir wahrnehmen, den harten Kampf des Mittelstandes um sich selbst, das egoistische Kleinbürgerliche als Lebensziel, nicht mehr drangsaliert vom ideologischen Überbau, aber in einem Staat mit einem unterbezahlten Sozialsystem. Putin wird nur kurzzeitig alte Strukturen für seinen Machtausbau nutzen können. Und wenn ihr mich fragt, Europa sollte mal schön die Schnauze halten und aufhören, mit sinnlosen Sanktionen zu drohen. Eine Gesellschaft, für deren Festhalten an der Idee eines Wirtschaftwachstums Näherinnen unter zusammenbrechenden Fabrikhallen begraben werden, deren Müllentsorgung in anderen Regionen die Lebenserwartung derer, die dort versuchen mensch zu sein, auf kaum erwachsen – schon tot senkt, um nur zwei Beispiele ihres Schmarotzertums zu benennen, erstickt bei jeder Menschenrechtspredigt sofort an ihrer Doppelmoral.

Ruhm den Helden des Krieges 1941 - 1945

Ruhm den Helden des Krieges 1941 – 1945

In der Ukraine gibt es nun wieder Kriegsanleihen. Man kann auf verschiedensten Wegen und mit kleinen Beiträgen die Armee unterstützen. Der Militarismus ist auf dem Vormarsch.
Die Werbung zeigt eine zu Tränen gerührte Mutter mit Proviantkörbchen hinter dem Kasernenzaun, die ihrem Sohn beim Exerzieren zuguckt. Millionen wurden bereits mit solchen Kampagnen in den Verteidigungshaushalt gespült. Es wird wohl nicht lange dauern, bis nicht nur die Soldaten wieder einen Sold bekommen, sondern auch schöne neue Leopard-II-Panzer zur Verteidigung der Souveränität eingekauft werden können.
Wir spazieren mit Kosko, einem Bekannten aus Kharkov, durch die Stadt und er berichtet stolz, dass er regelmäßig ein paar Cent mehr für eine sms bezahlt, um die Armee zu unterstützen. “Warum?” frage ich “Glaubst Du wirklich, Eure Armee hätte eine Chance gegen die zweitgrößte Militärmacht der Welt?” “Nein” “Na dann feiert doch Eure erneuerte Freiheit und sagt den Russen, na los, schießt uns doch zusammen, wir haben sowieso keine Chance.” “Du verstehst das nicht.” sagt Kosko und da hat er recht, ich verstehe es nicht. Ich habe ja auch keine Ahnung vom Alltag in einem System in welchem die Gewaltentrennung kurz vor dem Zusammenbrechen ist, weil sie nicht mehr finanziert werden kann.

Kharkover Stadtleben

Kharkover Stadtleben

Wir spazieren also durch Kharkov und sind begeistert von der Stadt. Innerhalb von 300 Jahren wurde an ein paar kleinen Flüsschen eine Zweimillionenstadt in die Landschaft gemeißelt. Wenn man hinter den sowjetischen Prunkbauten und Plätzen in eine Seitenstraße einbiegt, entdeckt man urbanes Leben in Vierteln, die von Gründerbauten und Bauhausarchitektur geprägt sind. Modern ist die Stadt und sauber. Der Blick schweift schnell ab zu den Passantinnen, die vielleicht gerade auf dem Weg zur Uni sind, oder zum nächsten Taschengeschäft. Das Lenindenkmal wird weiterhin von zehn Rentnern bewacht. In Slaviansk wurden die ersten prorussischen Besatzer, also Terroristen, von Spezialeinheiten erschossen. Ein proukrainischer Checkpoint in Odessa explodiert. Irgendwo fliegt Jemandem der Hut davon. Angst macht Märkte stabiler und festigt das Oligarchentum von weltweit agierenden, undurchsichtigen Konzernstrukturen, deren wichtigstes Lebensziel eine zufriedene Aktionärsversammlung ist. Wenn dieses Ziel nicht erreicht werden kann, muss man erstmal wieder richtig Schotter machen. Das  klappt am Besten mit der Etablierung eines Feindes und der sinnlosen Produktion von Wehrhaftigkeit. Es gibt keine neue Welt in einem alten Wertesystem.

Kharkov- Ukraine- Welt- Eine Richtigstellung

Nacht in Kharkov

Nacht in Kharkov

Eins war klar – wir würden in dieser Stadt und im Bekanntenkreis keine pro-russische Meinung zu hören bekommen. Eins war mir nicht klar – selbst der größte Peacer unter ihnen würde zur Waffe greifen, wenn es Krieg gäbe. Und er würde auf russische Soldaten schießen, selbst wenn er keine Chance hat.
Aber fangen wir am Ende an: Kosko hat uns nach einem langen Abend ein Taxi bereitgestellt, das uns nach Hause bringt. Ich frage den Taxifahrer auf Russisch, wie der Job so läuft, er sagt, er tut das nur nebenbei, eigentlich bemalt er Dinge, Motorräder und solche Sachen, er rutscht ins Englische. “Paintbrush?” frage ich “Nein, bemalen” sagt er, ich frage nicht weiter nach. “Aber eins ist klar,” redet er weiter, als wenn er die Frage geahnt hätte “ich bin der Erste, der seine Waffe benutzt, wenn sie weiter unser Land angreifen. Sie haben sich einfach die Krim genommen, jeden Sommer bin ich dort gewesen, mein Land, und ich konnte nichts machen.” “Warum solltest Du auch,” frage ich ” Du hättest doch keine Chance?” “Aber ich würde sie erschießen, solange ich kann, sie haben kein Recht, mir MEIN Land wegzunehmen. Ich fahre Taxi, um mir eine Automatische kaufen zu können!”
Er redet nur russisch, wenn er im Englischen nicht weiterkommt, mitten in Kharkov.
“Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten” kontere ich, “das ist doch Selbstmord?” “Ist mir egal, mein Land ist kein Bruder der Russen.”
Ich wäre erschüttert, wenn diese Stimmung nicht den ganzen Abend begleitet hätte. Als er uns absetzt, bedanke ich mich für das Gespräch, boxe ihn leicht an die Schulter dabei, er reicht mir die Hand und drückt sie fest.

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Die Besetzung Kharkovs http://www.hntrlnd.de/?p=513 http://www.hntrlnd.de/?p=513#comments Thu, 24 Apr 2014 09:36:24 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=513 Kharkov ist eine Metropole mit zwei Millionen Einwohnern im Nordosten der Ukraine, ca. 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Eine pro-europäische Episode über „die Ereignisse“, wie man das hier nennt, ist folgende: Als die Krim „heim ins Reich“ geholt wurde (auch diese Aussage ist nicht von mir), hatte auch Kharkov mit den Auswirkungen des russisch-ukrainischen Konflikts zu kämpfen. Diese Auswirkungen stellten sich so dar, als dass eine nicht geringe Anzahl angeblich einheimischer Anhänger eines Anschlusses der Stadt an die Russische Föderation ein Verwaltungsgebäude besetzten. In Kharkov gibt es eine große Zahl an Verwaltungsgebäuden, da man diese Stadt getrost als das Zentrum von Bildung und Kultur in der Ukraine bezeichnen kann, hier finden sich zum Beispiel fast alle namhaften Universitäten des Landes. kharkov_1Erstaunlich an der Besetzung des Verwaltungsgebäudes war der Umstand, dass ihr so gut wie keine Gegenwehr entgegengebracht wurde, was man anfangs sicher so deuten kann, dass ein Großteil der Bevölkerung diesen Anschluss befürworten würde.

Als am nächsten Tag, bei Lichte besehen, das Ausmaß der Besetzung deutlich wurde – an einer Ecke hatte es gebrannt, ein paar Barrieren wurden aufgebaut, es gab wohl auch Verletzte – wurde eins besonders klar: Die Aufständischen hatten die Oper besetzt, sich in der Adresse geirrt, das Rathaus steht ein paar Straßen weiter. Welch Glück für diese Stadt, zeigt es doch, warum keiner ihnen Einhalt gebot. Die Oper in Kharkov ist zudem ein sehr, sehr unansehnlicher 70er-Jahre Zweckbau, um den wohl keiner trauern würde, wenn er abgerissen wird. Zudem machte diese Aktion klar, dass unter den pro-russischen Kräften mit Sicherheit kaum Einheimische gewesen sein können, was die Lage in der Stadt augenblicklich stabilisierte. So kam es dann auch, dass die Provokateure, wie man sie seitdem nennt, als sie ihren Fehler bemerkten (und den Bärendienst, den sie ihrer Sache erwiesen hatten), so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren, wahrscheinlich teilweise wieder über die Grenze nach Russland. Diese Anekdote ist auch nach einigen Wochen immer noch ein Running Gag in der Stadt; wenn jemand schlecht gelaunt ist, sagt man: „Besetz doch einfach die Oper. Oder iss nen Snickers.“
kharkov_rathaus

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Odessa – Kharkov http://www.hntrlnd.de/?p=477 http://www.hntrlnd.de/?p=477#comments Wed, 23 Apr 2014 21:48:16 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=477 Deschurnaja

Deschurnaja

“Junge, bleib stehen!” kreischt es aus einem kleinen Fenster am Eingang des Wartesaals. Ich registriere erst gar nicht, dass ich gemeint sein könnte. Ich drehe mich doch Richtung Fenster, als das Kreischen lauter wird.
Eine schätzungsweise Ende Vierzigjährige Deschurnaja mit hartem Blick, mit strahlend rotem Stift geschminkten, schmalen Lippen mustert mich: “Zeigen sie mir ihre Fahrkarte!” “Zeige ich Ihnen” sage ich “Die Fahrkarte ist da hinten im Wartesaal.” Ich zeige auf unsere Rucksäcke, sie verdreht die Augen. Also komme ich mit meiner Fahrkarte von unseren Sitzen zurück, sie nimmt diese kurz in die Hand und gibt sie mir dann sofort wieder: “Sie müssen die Karte vorzeigen, wenn sie den Wartesaal besuchen wollen!” sagt sie in spitzem Ton.  Seltsam, dass sie uns nicht bemerkte in den letzten zwei Stunden. Natürlich hatte ich in der  Zeit mehrmals den Raum verlassen, um eine Zigarette zu rauchen und um Dinge für die Zugfahrt zu kaufen. “Entschuldigen sie, das wusste ich nicht.” sage ich in dem Ton, den ich für den richtigen halte, gegenüber einer höhergestellten und Macht besitzenden Person. “Das sollten sie aber wissen!” antwortet sie. “Jetzt weiß ich es ja!” belle ich dann doch zurück und drehe mich mitsamt der Fahrkarte weg von ihr und hin zu unseren Rucksäcken.
Als wir uns Richtung Zug begeben, sage ich zu ihr, dass ich es wirklich nicht mitbekommen habe, dass man erst seine Fahrkarte zeigen müsse, um den Wartesaal zu betreten und frage sie, ob ich ein Foto von ihr machen könnte. “Natürlich können sie Fotos von unserem schönen Bahnhof machen.” antwortet sie lächelnd. “Nein” sage ich “Ich würde gern ein Foto von Ihnen machen und Ihrem Arbeitsplatz.” “Aber warum?” fragt sie “Was ist denn der Sinn?” “Nun, ich will es dokumentieren.” sage ich “Nur für Ihre Freunde?” fragt sie. “Ja genau,” antworte ich “es geht ja auch ganz schnell”.  Sie will noch kontern und sagt etwas über den kleinen Raum und dass es doch nicht angemessen sei, aber da mache ich schon das Foto. Ich zeige es ihr “Gar nicht mal so schlecht.” kommentiere ich, sie lächelt und winkt zum Abschied.

Bahnsteig Odessa

Bahnsteig Odessa

Die Zugfahrt nach Kharkov ist Anfangs von verständigenden Blicken zwischen Dirk und mir geprägt. Das Vierer-Abteil besetzen wir wieder auf den oberen beiden Liegen. Zwei Frauen begleiten uns auf den unteren Liegen, auf dem 700 Kilometer langen Weg.
Während die eine, schätzungsweise Siebzehnjährige, vor sich hintechnisiert mit I-Pad und Kopfhörern, sitzt dort auch die Mitte Zwanzigjährige Schönheit, deren Konterfei wir vielleicht schon auf Straßen begegneten, aber welche bisher nicht in unserem Zugabteil saß. Also male ich schlechte Zeichnungen mit Kugelschreiber, ich will sie auch fotografieren, sie ist sofort mit der Hand dazwischen, mein Fotoapparat ist einer der schnellsten, aber nicht schnell genug für die Reaktionszeit ihrer Hand, die sich vor das Objektiv legt.
Nach ihrem Mathematikstudium studiert sie nun Sport in Kharkov. Bringt das Geld? Nein. Wieviel verdient man im Fitnessstudio? 100 Euro monatlich, in der Verwaltung, die ist besser bezahlt, als eigentliches Fitnesstraining. Was denkt sie über Deutschland? Gutes Sozialsystem, gute Autobahnen, gute Autos. Was denkt sie über die Ukraine? Nichts Politisches, bitte. Nichts, was man selbst noch nicht einzuordnen vermag. Sie nimmt sich gerne Zeit für uns, obwohl sie eigentlich über den Zetteln sitzt für die Abschlussprüfung. Wir versuchen es zu registrieren und sie nicht  zu sehr zu stören, wenn sie nicht gerade eine Lernpause macht und sich für uns und die Reise interessiert.

zugbekanntschaft

Ich habe nicht mal nach ihrem Namen gefragt

Als ich Bilder von unserer bisherigen Reise zeige, drehe ich unbemerkt einen kurzen Film, aus dem ich ein schlechtes Bild für diesen Artikel ziehen kann: Verliebt sein geht schnell. Was dann mein Problem ist . Und sie bleibt schnell, umarmt mich zum Abschied, als ich es nicht mehr erwarte: “Good  luck” sagt sie. “Bye” sage ich und wollte ihr doch so viel mehr sagen können. Manchmal ist man dümmer und verschüchterter, als man es sich jemals eingestanden hat.

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Demonstration in Kharkov http://www.hntrlnd.de/?p=460 http://www.hntrlnd.de/?p=460#comments Wed, 23 Apr 2014 20:27:40 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=460 001Nachdem wir heute in Kharkov angekommen sind, erhielten wir die Information, heute würde „was gehen“, sprich: 18 Uhr solle auf dem Platz der Unabhängigkeit, dessen Denkmal erst vor zwei Jahren errichtet wurde, eine Demonstration „Pro Ukraine“ stattfinden. Also hin da, Kamera nicht vergessen.
DSC00978Während die Demonstration ihren Lauf nahm, der Pater der ukrainischen Kirche die Einleitung sprach und die Menschen sich bekreuzigten, marschierten unbemerkt an der Flanke junge Männer mit ernstem Blick, Turnhosen und Sportschuhen auf; hauptsächlich in schwarz gekleidet. An ihnen waren keinerlei Symbole der Ukraine zu finden, auch keine Spur von Freundlichkeit war zu entdecken, sie machten einen sehr angespannten und ungewöhnlich aufmerksamen Eindruck. Ihr Begrüßungsritual bestand aus einem für mich verdächtigen, gegenseitigen Berühren des rechten Unterarms, und ich hätte ihnen eine Verschärfung der Situation zugetraut, doch dazu kam es nicht, denn sowohl freiwillige Kräfte aus der Demonstranten-Szene als auch die Ultras des hiesigen Fußballvereins Metallist Charkov standen Spalier im Kreis um die Demonstranten.
DSC00956Eine Funktion, die ich eigentlich den zahlreich anwesenden Milizen, Polizisten und paramilitärischen Einheiten zugestanden hätte, doch diese hielten sich deutlich zurück und liefen eher locker zwischen den Anwesenden umher, anstatt einen Formation zu bilden, wie ich es aus Deutschland kenne. Laut der Aussage unsere einheimischen Freundes Kosko sei diesen Einheiten aber sowieso nicht zu trauen und im Ernstfall wisse man hier nicht, für wen sie Partei ergreifen würden, also sei es nur logisch, eine eigene Verteidigungslinie aufzubauen.

Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014 Kharkov 23.04.2014

Die Themen, die während dieser Demonstration angesprochen wurden, beschränkten sich hauptsächlich auf das Skandieren etablierter Slogans wie „Slava Ukranina, gerojem slava“
Der Redner ruft: „Kharkiv!“, die Menge skandiert „Ukrania!“. Die Nationalhymne wird gesungen, ich stehe aus Respekt still und mir läuft ein leichter Schauer über den Rücken, weil es wirklich eine schöne Hymne ist und ich solche Bekundungen zum eigenen Staat aus Deutschland nicht kenne und dort auch verurteilen würde, aber das ist gehört nicht hierher, es geht hier nicht ums deutsche Verständnis von Nationalbewusstsein. Soweit ich es dann verstehen konnte, waren die Reden nicht von abstrakten politischen Konzepten geprägt, sondern vielmehr wurde immer wieder der soziale Zusammenhalt der gesamten Ukraine auf einfache Art und Weise thematisiert, besonders feststellbar bei den leiseren Redebeiträgen. Die Redner waren Geistliche, einfache Bürger, Blogger – Politiker habe ich keine entdecken können – die gesamte Demonstration machte auf mich den Eindruck einer von den Bürgern selbstorganisierten Veranstaltung. Kinder waren keine zu entdecken, ansonsten gab die Demonstration alles her, was die Gesellschaft zu bieten hat.

DSC00988Obwohl am Ende alles friedlich ablief, konnte ich eine deutliche Anspannung unter den Demonstranten spüren, was auch an den zahlreich Vermummten gelegen haben mag, die teilweise mit Stahlhelmen und eigenkonstruieren Verteidigungswerkzeugen bewährt waren. Unser Freund Kosko hatte deutlich mehr Respekt vor der Situation, während wir einfach mitten rein gingen und Fotos machten. Aber er ist wohl auch anders geprägt aufgrund der vergangenen Ereignisse, die sicherlich nicht so friedlich abliefen wie das hier beschriebene, wenn man den Fotos glauben darf, die man im Netz findet.

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Bilder aus: Odessa http://www.hntrlnd.de/?p=657 http://www.hntrlnd.de/?p=657#comments Wed, 23 Apr 2014 04:09:29 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=657
Das Mahnmal der gefallenen Helden

Das Mahnmal der gefallenen Helden

Odessas Gondelbahn

Odessas Gondelbahn

Junge, komm bald wieder!

Junge, komm bald wieder!

die letzte Sowjetromantik, die zu finden war

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gegenüber der Militärschule

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am Strand der Stadt

am Strand der Stadt

Odessa, Stadt der Treppen

Odessa, Stadt der Treppen

klassische Straßenszene

klassische Straßenszene

klassische Straßenszene

klassische Straßenszene

eins von ca. 100 Denkmälern

eins von ca. 100 Denkmälern

Odessas große Treppe

Odessas große Treppe

Hotel Odessa, postsowjetische Investruine

Hotel Odessa, postsowjetische Investruine

Cafe "Kompot" aus den 80ern

Cafe “Kompot” aus den 80ern

am Hafen

am Hafen

Odessas große Treppe

Odessas große Treppe

nicht das einzige Kaffeeauto der Stadt

nicht das einzige Kaffeeauto der Stadt

hinterm Bahnhof

hinterm Bahnhof

Platanaten und LEDs

Platanaten und LEDs

am Strand der Stadt

am Strand der Stadt

typische Allee in Odessa

typische Allee in Odessa

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