Die Besetzung Kharkovs

Kharkov ist eine Metropole mit zwei Millionen Einwohnern im Nordosten der Ukraine, ca. 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Eine pro-europäische Episode über „die Ereignisse“, wie man das hier nennt, ist folgende: Als die Krim „heim ins Reich“ geholt wurde (auch diese Aussage ist nicht von mir), hatte auch Kharkov mit den Auswirkungen des russisch-ukrainischen Konflikts zu kämpfen. Diese Auswirkungen stellten sich so dar, als dass eine nicht geringe Anzahl angeblich einheimischer Anhänger eines Anschlusses der Stadt an die Russische Föderation ein Verwaltungsgebäude besetzten. In Kharkov gibt es eine große Zahl an Verwaltungsgebäuden, da man diese Stadt getrost als das Zentrum von Bildung und Kultur in der Ukraine bezeichnen kann, hier finden sich zum Beispiel fast alle namhaften Universitäten des Landes. kharkov_1Erstaunlich an der Besetzung des Verwaltungsgebäudes war der Umstand, dass ihr so gut wie keine Gegenwehr entgegengebracht wurde, was man anfangs sicher so deuten kann, dass ein Großteil der Bevölkerung diesen Anschluss befürworten würde.

Als am nächsten Tag, bei Lichte besehen, das Ausmaß der Besetzung deutlich wurde – an einer Ecke hatte es gebrannt, ein paar Barrieren wurden aufgebaut, es gab wohl auch Verletzte – wurde eins besonders klar: Die Aufständischen hatten die Oper besetzt, sich in der Adresse geirrt, das Rathaus steht ein paar Straßen weiter. Welch Glück für diese Stadt, zeigt es doch, warum keiner ihnen Einhalt gebot. Die Oper in Kharkov ist zudem ein sehr, sehr unansehnlicher 70er-Jahre Zweckbau, um den wohl keiner trauern würde, wenn er abgerissen wird. Zudem machte diese Aktion klar, dass unter den pro-russischen Kräften mit Sicherheit kaum Einheimische gewesen sein können, was die Lage in der Stadt augenblicklich stabilisierte. So kam es dann auch, dass die Provokateure, wie man sie seitdem nennt, als sie ihren Fehler bemerkten (und den Bärendienst, den sie ihrer Sache erwiesen hatten), so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren, wahrscheinlich teilweise wieder über die Grenze nach Russland. Diese Anekdote ist auch nach einigen Wochen immer noch ein Running Gag in der Stadt; wenn jemand schlecht gelaunt ist, sagt man: „Besetz doch einfach die Oper. Oder iss nen Snickers.“
kharkov_rathaus

5 Gedanken zu „Die Besetzung Kharkovs

    1. Hab mal berichtigt… Naja, Angst haben fällt schwer in Kharkov. Der Alltag hier verängstigt nicht gerade. Recht pauschal geschrieben haben sich Viele Ihr Offroad-Stadtauto auf Kredit gekauft und haben jetzt Angst vor einer nächsten Wirtschaftskriese. Alles wird teurer, die Löhne sinken ins Bodenlose. Also wie in Deutschland, nur noch etwas fieser. Von einem dritten Weltkrieg redet hier keiner.

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