Stalins Staub

Die Hütte der Geburt wetterfest übermauert

Die Hütte der Geburt wetterfest übermauert

Gori liegt ca. 100 Kilometer westlich von Tbilisi und hat seine Bekanntheit dadurch erreicht, dass hier Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili am 16. Dezember 1878 geboren wurde. Abgesehen davon entschieden sich 2008 im Kaukasuskrieg hier die Russen zum Rückzug. Das Stalinmuseum gibt es immer noch, also müssen wir es besuchen. Die Eingangshalle ist voll, unerwartet dicht drängen sich Touristen, beschauen Ecken und Teppiche und fotografieren erste Stalin-Büsten. Auffallend alt ist die Gruppe, gut gekleidet im weltweit als Uniform anerkannten Touristen-Alltagsdress.

Schon in der Eingangshalle erste Gruppenfotos

Schon in der Eingangshalle erste Gruppenfotos

Wir kaufen Karten und werden informiert, dass wir uns dem englischsprachigen Rundgang der Gruppe anschließen dürfen. Eine korpulente Frau in den Fünfzigern in Stützstrumpfhosen, Fleecejacke und blauem Rock beginnt, mit einem Zeigestock die Wände und Devotionalien jedes Raumes abzugehen, verfolgt und belauscht von unserer Gruppe, deren Altersdurchschnitt durch zwei deutsche Rumtreiber signifikant gesenkt wird. Während des Rundgangs erläutert sie Ausstellungsstücke; die Räume beschreiben chronologisch Josef Stalins Werdegang.

Gleichförmig wie von Schallplatte, aufmerksame Zuhörer

Gleichförmig wie von Schallplatte, aufmerksame Zuhörer

Ihre Sätze scheinen eingepaukt wie eine lange Ballade. Ein Gedicht, von dem sie seit Jahren mit keiner Silbe abweicht. Wie das Museum selbst scheint auch sie mit ihren  Informationen in der Zeit stehengeblieben zu sein. Falls sie jemals Spaß daran gehabt hat, dieses Museum zu erklären, so ist ihr dieser vor langer Zeit verloren gegangen. Also stochert sie mit dem Zeigestock an den Wänden entlang und erzählt die Geschichte monoton, inhaltlich konform mit dem Neostalinismus der Breschnew- Ära. Die Augen der Rentnergruppe verfolgen dabei den Stock minutiös, selten traut sich jemand, den Fotoapparat in die Hand zu nehmen und etwas Verstaubtes festzuhalten.

Stalin und Nagellack

Stalin und Nagellack

Jeder Raum wird von einer Aufpasserin bewacht, deren Darstellung von Desinteresse sich nicht nur darauf beschränkt, aus dem Fenster zu schauen. Allen Museumsmitarbeitern steht auf die Stirn geschrieben: „Was interessiert ihr euch denn für diese unaufgeklärte und uninteressante Unkultstätte?“
Mich fasziniert unsere Gruppe. Wir bekommen heraus, dass sie US-Amerikaner sind, einige Kanadier sind auch darunter. Manche sehen aus, als würden sie sich noch hier im Museum für ein Ableben entscheiden wollen. Teilweise tief gebückt steigen sie die Treppen auf und ab. Eine Teilnehmerin lässt es sich aber nicht nehmen auf die Knie zu gehen um sich irgendeinen Nerzmantel am Saum zu betrachten. Kurz bevor ich mich dazu entscheiden kann ihr aufzuhelfen, stützt sie sich in einer Meidbewegung selbst wieder in die Senkrechte.

Ist das wirklich ein echter Nerz?

Ist das wirklich ein echter Nerz?

„So, we go to the next room.“ sagt unsere Kursleiterin, wenn sie das Gedicht eines Raumes abgeschlossen hat und ich vermute den Schimmer eines ehrlichen Lächelns. Ich glaube, ich kann ihre Gedanken lesen: „Zum Glück wieder eine Strophe geschafft“.
Stalin in jung, Stalin als Revolutionär (keine Erwähnung der Banküberfälle u.ä.), Gemälde von der Flucht aus einer der Gefangenschaften, heroisch am Hang in die Ferne schauend, um ihn herum die Jünger, die zu ihm aufschauen, Stalin vor einem GAZ, einen Scheibenwischer inspizierend (kein Bild von den ersten Limousinen, die noch aus Europa teuer importiert wurden), Stalins Familie (keine Erwähnung des ermordeten Teils, das Nicht-Austauschen seines Sohnes in Kriegsgefangenschaft wird als revolutionär heldenhaft beschrieben; keine Erwähnung, dass ihm der ältere Sohn egal war), Stalin beim Popeln (nur ein kurzer Aufmerksamkeitstest).

Stalins Totenmaske

Stalins Totenmaske

Kaum etwas über Stalin im Krieg – wie auch, die meiste Zeit war er ja bockig, weil sein Idol Hitler ihm den Krieg erklärt hatte, nichts über Zwangskollektivierung und Deportationen, abgesehen von folgenden Satz: „Es ist in der revolutionären Zeit viel falsch gelaufen, aber erst unter Stalin gab es Industrialisierung und Fortschritt.“ Als wir das Museum verlassen und unsere Leiterin die Tür zum überbauten Geburtshaus Stalins aufschließt, damit wir eine Kammer mit zwei Stühlen und einem Tisch ansehen können, sagt eine Touristenoma, so hätte sie sich immer eine sozialistische Museumsführung vorgestellt. Zum Schluss noch die Begehung des Wagons, mit dem Stalin durch die Lande fuhr. Abgesehen von einer Oma kraxeln alle die steilen Stufen hoch. „Ach, das ist die Küche.“ „Ich habe gehört, er hatte einen Vorkoster.“ „Und schau mal hier, das Badezimmer.“

Stalins Klo

Stalins Klo

Endlich sind wir aus dem Wagon raus, die Tour ist geschafft, ein halbstarker Gorianer testet seine Skateboardkünste zwischen unserer Rentnergruppe, ich glaube, er will provozieren.
Gori ist eine der Städte, aus welcher wohl jeder Einwohner raus möchte. Das Rathaus wurde von deutschen Zwangsarbeitern Ende der fünfziger Jahre gebaut. Wegen der Glaskuppel nennen es die Einwohner „Reichstag“. Der Bahnhof besteht aus einer Eingangshalle mit zerbrochenen Fensterscheiben und Staubpatina. Eine sozialistische Spiel- und Sportstätte rostet vor sich hin. Industrie am Rand der Stadt besteht wie in ganz Georgien aus Ruinen. Der Fußballtrainer lässt seine zwölfjährigen Spieler schnellstmöglich eine hohe Betonstufe hoch und runter springen. Dazwischen wird Rasen gemäht und Bäume werden beschnitten. Es gibt sehr gutes Schawarma. In den Vorgärten wird, wie fast überall, Gemüse angepflanzt. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, bis unser Zug nach Batumi fährt und schlagen die Zeit tot. Dann besuchen wir das “Read Cafe”. Aber dazu mehr in der nächsten Folge.

2 Gedanken zu „Stalins Staub

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