shrimps

Weltraumbahnhöfe und Borschtsch

Bei Starkregen und Nordwind Fahrt zum Weltraumbahnhof Bagerowo, einer zugewachsenen Betonwüste im Nichts, auf deren von Rindern besiedelter Landebahn laut Aussage unserer ukrainischen Freunde ein Space Shuttle landen könnte. Im Moment wird allerdings das letzte noch verbliebene Gebäude, ein Hangar, gerade von vier Bauarbeitern mühsam und langsam abgetragen, um ihn woanders wahrscheinlich mühsam und langsam wieder aufzubauen. Hier habe sich vor vielen Jahren der Start der ersten russischen Atombombe ereignet, wird uns von unserem Fahrer Walodja mit großen Augen zugetragen. Der Grund für den Ausflug ist der Besuch einer Baufirma, deren zehn Mitarbeiter damit beschäftigt sind, Steine zu klopfen, Drähte zu binden und viel zu teure Maschinen zu reparieren, weil sie falsch bedient wurden.

In der Kantine des Kulturzentrums in Kerch gab es Borschtsch für 50 Cent, gekochtes Rindfleisch mit frischem Kartoffelpüree, Möhren und Salat für 80 Cent. Dunkelblau strahlende Tischdecken aus geprägtem Wachstuch, die Speisekarte auf einer Schreibmaschine geschrieben, deren Lettern wohl verbogen sind, da sie nicht mehr alle Buchstaben in einer Reihe druckt. Eine altmodische Lichtorgel säumt die Deckenleiste in vier Metern Höhe. Der angebliche Staatsanwalt, der mit uns gemeinsam am Tisch sitzt, ist etwa 25 Jahre alt, nimmt angeblich gern Drogen während der Arbeitszeit und fuhr eben noch am Bushof in seinem getunten Lada seine Liebschaft von Geschäft zu Geschäft. Bisnes nennt man das.

„Bisnes“ nennt sich auch der Markt, in dem ich abends noch Riesen- Shrimps für 13 Griwna, also 1,90 Euro, pro Kilo und ganz lustige Schokolade für vier Cent kaufe. Auf der Verpackung lacht mich das stilisierte Gesicht eines Mädchens mit rotem Kopftuch vor einem Weizenfeld an, über ihr prangert in fetten kyrillischen Lettern das Versprechen eines archaischen Genusses. Diese Art von Schokolade hat mir zuletzt mein Vater gekauft, da war ich sieben. In diesem Markt – Achtung, deutsche Ingenieurssichtweise: könnte man mittels einer gut angebrachten Überwachungskamera fünf der zehn ledebejackten Sicherheitsmänner einsparen. Aber dann gäbs noch mehr Arbeitslose.

Vieles hier fühlt sich an, als ob die DDR 1975 ein kleines bisschen undicht in Alufolie verpackt worden wäre, damit auch alles ein kleines bisschen rosten kann. 2000 haben sie sie wieder ausgepackt und mit allem bombardiert, was unsere neue Weltordnung hergibt und was sich hier kaum einer leisten kann und auch nicht jeder versteht.

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