Alle Artikel von Dirk Ramthor

Am Protestcamp in Odessa

Das Protestcamp und seine hundert Teilnehmer.

Das Protestcamp und seine hundert Teilnehmer.

Das Protestcamp ist so gut wie leer, Passanten spazieren ohne Interesse vorbei. Die Plakate, welche um die Zelte herum drapiert wurden, zeigen Alterserscheinungen. Die Foto-Text-Kompositionen, die an frühere Wandzeitungen erinnern, blättern an den Rändern auseinander. Wenn ich fragend am abgesteckten Claim stehe, werde ich von keinem der übrig gebliebenen zwanzig oder dreissig Protestler beachtet. Die Protagonisten dieses verschlafenen Dörfchens drehen sich eher weg. Keine Fernsehkamera interessiert sich für diesen verschlafenen Rest. Die Ohnmacht scheint den Protestlern auf die Stirn geschrieben. Vielleicht stimmen sie inzwischen auch mit dem mobilen Kaffeeverkäufer überein, der dazu nur sagt: “Vergebene Liebesmühe” (frei übersetzt). “Warum?” frage ich. “Es hat sich doch alles wieder stabilisiert, was wollen die noch hier?” “Kaufen sie wenigstens Kaffee?” frage ich. “Nein, keiner von denen.” antwortet er grinsend. Weiterlesen

Tscherno vs. Dnepr

mal wieder anstellen

mal wieder anstellen

Jens war noch nie(!) in seinem Leben bei einem Fußballspiel und ich freue mich sehr, dass ich dabei bin, als er ausgerechnet in der Ukrainie entjungfert wird, was das Ballspiel betrifft. Nach zwei Bier fängt er an, mitzuschreien. Ich habe mir zum ersten Mal einen Fußballschal gekauft; für vier Euro konnte ich nicht widerstehen. Weiterlesen

Lviv – Odessa

lviv-odessa_1Mein neues Lieblingsgetränk: Zugtee mit zweimal Zucker für 3 Griwna. In der Nacht halb eins sitze ich auf dem Klappsitz im Gang, weil es im Abteil zu heiß ist und ich nicht schlafen kann. Zudem schnarcht Jens wegen der Wodkaverkostung in der Dämmerung und unsere Abteilbegleitung besteht aus einer depressiv dreinschauenden Mutter mit ihrem stillen Sohn, die beide keine Gesprächspartner abgeben. Draußen ziehen im Dunkel Felder, Industrieanlagen und verlassen wirkende Dörfer vorbei, bis Odessa sind es jetzt noch sieben Stunden. Mein Tee zieht seit drei Minuten, ich bin allein, alles schläft, nur die Deshurnaja ist noch wach und sortiert in ihrem Abteil leise murmelnd die Tickets, die sie beim Losfahren eingesammelt und gegen frische und vor Stärke raschelnde Bettwäsche getauscht hat.
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Der Versuch, zu verstehen

Das dritte AugeAls ich versuche, die Oper der Stadt in meine 50mm Festbrennweite zu stopfen, was an ihrer schieren Größe und der Starrheit meines Blicks scheitert, werde ich angesprochen. Erst auf ukrainisch, ich verneine nett in russisch. Dann in russisch. Ich verneine wieder. Dann polnisch. Dann englisch. Jetzt verstehe ich. Ein „Guide“ bietet uns seine Dienste an, die ich nach kurzem Verhandeln auch annehme.
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Von Zweien, die auszogen

Die letzten Erledigungen vollbracht. Was jetzt schiefgeht, musste schiefgehen. Was jetzt noch fehlt, wird nicht gebraucht. Koffer gepackt, Kühlschrank abgetaut, Stecker raus, Nachsendeauftrag. Morgen gehts also los ins augenscheinliche Krisengebiet, mittendrin statt nur im Internet und noch viel weiter. Die nächste Meldung und die ersten Bilder dann schon aus der Ukraine.

Zwei Stunden vor Abfahrt:

Die Reise zur Reise

Bus Berlin-Lemberg: Check. Flieger von Sotchi nach Erewan: Check. Flieger von  Baku nach Taschkent: Check. Billiger und einfacher als gedacht. Alles andere dann auf Zuruf. Treiben lassen in den Grenzen von Flugplänen und internationalen Visabestimmungen. “Jens, wie kommen wir eigentlich nach Baikonur?” “Am Bahnhof gucken, wann ein Zug fährt, dann einsteigen.” Ich bin gespannt. FSME-Schutzimpfung nicht vergessen. Motivationsschreiben für die Botschaft. “Nein, wir nehmen keinen Gyrocopter mit.” “Aber der ist zerlegbar!”  Handy-Navigation wird nicht funktionieren oder zu teuer sein, also: Landkarten kaufen. Gewohnheiten auf Mitnahmefähigkeit überprüfen. Cool bleiben. Vielleicht doch nicht auf die Krim fahren.

Krim oder nicht Krim

!!!BIDL
Während Russlands Militär die Krim besetzt bzw. die öffentliche Ordnung auf der Halbinsel sicherstellt, sitzen wir in einem Friedrichshainer Cafe und füllen Visaanträge aus.
Nachdem wir uns durch Ho(r)den von Vollbärtigen in Silberleggins, spanische Touristengruppen und vereinzelt auch Werktätige gekämpft haben, sind wir nun zum Glück keine Australier, denn sonst bräuchten wir einen lückenlosen Lebenslauf in kyrillisch, um nach Russland einreisen zu dürfen. Unser Pass reicht. Deutsche Pässe, ein paar biometrische Bilder, mehrsprachige Formulare und eine zuvorkommende Sekretärin im “Fettes Brot”- T-Shirt in der Visaagentur – wenn wir das tatsächlich alles genehmigt bekommen und in all diese Länder rein und auch wieder raus dürfen, dann können wir uns wohl als ausgewiesene Fachmänner für Visa- Angelegenheiten ostwärts von Deutschland bezeichnen. Und drei Kreuze machen.