Schlagwort-Archiv: Ukraine

Am Protestcamp in Odessa

Das Protestcamp und seine hundert Teilnehmer.

Das Protestcamp und seine hundert Teilnehmer.

Das Protestcamp ist so gut wie leer, Passanten spazieren ohne Interesse vorbei. Die Plakate, welche um die Zelte herum drapiert wurden, zeigen Alterserscheinungen. Die Foto-Text-Kompositionen, die an frühere Wandzeitungen erinnern, blättern an den Rändern auseinander. Wenn ich fragend am abgesteckten Claim stehe, werde ich von keinem der übrig gebliebenen zwanzig oder dreissig Protestler beachtet. Die Protagonisten dieses verschlafenen Dörfchens drehen sich eher weg. Keine Fernsehkamera interessiert sich für diesen verschlafenen Rest. Die Ohnmacht scheint den Protestlern auf die Stirn geschrieben. Vielleicht stimmen sie inzwischen auch mit dem mobilen Kaffeeverkäufer überein, der dazu nur sagt: “Vergebene Liebesmühe” (frei übersetzt). “Warum?” frage ich. “Es hat sich doch alles wieder stabilisiert, was wollen die noch hier?” “Kaufen sie wenigstens Kaffee?” frage ich. “Nein, keiner von denen.” antwortet er grinsend. Weiterlesen

Tscherno vs. Dnepr

mal wieder anstellen

mal wieder anstellen

Jens war noch nie(!) in seinem Leben bei einem Fußballspiel und ich freue mich sehr, dass ich dabei bin, als er ausgerechnet in der Ukrainie entjungfert wird, was das Ballspiel betrifft. Nach zwei Bier fängt er an, mitzuschreien. Ich habe mir zum ersten Mal einen Fußballschal gekauft; für vier Euro konnte ich nicht widerstehen. Weiterlesen

Ostern am Schwarzen Meer

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Babuschkas und Bisnes

Alexandr versicherte uns, er habe eine Ersatzwohnung, die noch besser sei, als die, welche wir gebucht haben; wir haben uns 10:00 Uhr bei der Adresse verabredet. Also warten wir vor dem Eingang zum Ersatzdomizil. Ein orthodoxer Jude spaziert an uns vorbei, seine beiden kleinen Töchter rechts und links an der Hand. Vor dem Laden “Make My Cake” (hier gibt es individuellen Kuchen, Coffee-to-go und Klimbim) steht das perfekt gestylte Hipster-Bike. Entsprechender Zopfträger nippt am Kaffee und touchscreent dabei sein Smartphone. Ein Asiate telefoniert im Vorbeihetzen in asiatischer Sprache. Wenig später drei Jugendliche, die sich auf arabisch verständigen. Innerhalb einer Minute begegnen sich verschiedenste Kultursphären und bilden Alltag. Zweie sitzen auf dem Bordstein, die Rucksäcke lehnen an einer Platane.
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Lviv – Odessa

lviv-odessa_1Mein neues Lieblingsgetränk: Zugtee mit zweimal Zucker für 3 Griwna. In der Nacht halb eins sitze ich auf dem Klappsitz im Gang, weil es im Abteil zu heiß ist und ich nicht schlafen kann. Zudem schnarcht Jens wegen der Wodkaverkostung in der Dämmerung und unsere Abteilbegleitung besteht aus einer depressiv dreinschauenden Mutter mit ihrem stillen Sohn, die beide keine Gesprächspartner abgeben. Draußen ziehen im Dunkel Felder, Industrieanlagen und verlassen wirkende Dörfer vorbei, bis Odessa sind es jetzt noch sieben Stunden. Mein Tee zieht seit drei Minuten, ich bin allein, alles schläft, nur die Deshurnaja ist noch wach und sortiert in ihrem Abteil leise murmelnd die Tickets, die sie beim Losfahren eingesammelt und gegen frische und vor Stärke raschelnde Bettwäsche getauscht hat.
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Der Versuch, zu verstehen

Das dritte AugeAls ich versuche, die Oper der Stadt in meine 50mm Festbrennweite zu stopfen, was an ihrer schieren Größe und der Starrheit meines Blicks scheitert, werde ich angesprochen. Erst auf ukrainisch, ich verneine nett in russisch. Dann in russisch. Ich verneine wieder. Dann polnisch. Dann englisch. Jetzt verstehe ich. Ein „Guide“ bietet uns seine Dienste an, die ich nach kurzem Verhandeln auch annehme.
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Gde nachoditsa Wogsal?

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Halbzehn, auf zum Bahnhof, Zugtickets kaufen. Die grobe Richtung kennen wir, gestern waren wir bereits da, ich stellte mich am ersten Schalter an und erfuhr dort, welcher Schalter der richtige gewesen wäre, also Anstellen bei Schalter Nummer Neun. Beim Anstehen kommt es auf die richtige Erziehung an, einmal noch kurz die Freiheit einatmen und dann stehen, in der Schlange, Geduld üben, langsam ein- und ausatmen. Dirk fing schnell an herumzutänzeln: “Ich geh rüber zur Information, da ist keine Schlange. Ich frag mal, ob wir das auch online machen können.” Nach kurzer Zeit kam er zurück mit einem Zettel: “Hier, hör auf hier rumzustehen, die Angestellte war sehr freundlich und hat mir alles aufgeschrieben.” Also ab ins Domizil, online buchen. Es regnete heftig, wir nahmen ein Taxi. Der Taxifahrer gab 50 Grivna als Beförderungspreis an, wir fuhren los, ich redete mit Dirk Belangloses.
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Berlin – Lviv

Busschild
ZOB Berlin, es hagelt. “Tscheres tritsatch minut” sagt der Busfahrer am Telefon.
Zweie sitzen auf der Busbahnhofsbank, die letzte Sportzigarette ist weggeraucht, eine Mülltonne wird vorbeigeschoben.
Der Bus scheint überbucht zu sein. Russisch, Ukrainisch, Deutsch. Reihenfolge bedingt durch die Menge der Wortfetzen in jeweiliger Sprache. Die Sitzlehnen sind eindeutig zu kurz. Der Kopf ragt über und der Hals schmerzt nach wenigen Minuten in zurückgelehnter Haltung. Das Wetter ist ausreichend gut, perfektes Busreisewetter. Weiterlesen